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Bio boomt in Montpellier

Die Veranstaltungszahlen der einschlägigen Bio-Messen sind positiv, Marktforschungsdaten verheißen dem Biosegment selbst in stagnierenden Weinmärkten wie Deutschland noch Wachstumschancen. Dazu sollten die im Zuge der Bauernproteste lebhafter gewordenen Diskussionen über die Landwirtschaft der Zukunft dem Geschäft mit Bioweinen eigentlich neue Impulse geben. 

Die Millésime Bio in Montpellier legte bereits Ende Januar vor: Der grüne Teppich wurde dort in diesem Jahr für 6.850 Fachbesucher ausgerollt, die auf rund 1.300 Aussteller trafen. Im Vorjahr waren es 6.200 Besucher, denen damals 1.200 Aussteller gegenüberstanden. „Der Anstieg der Gesamtbesucherzahl um 10,5% und die Zunahme der internationalen Besucher um 8% ist ein konkreter Beweis für den positiven Markttrend“, sagt Nicolas Richarme, Präsident des Messeveranstalters Sudvinbio. Professionalisierung in jeder Hinsicht bestimmte die Grundstimmung auf der Millésime Bio, die sich mit der Öffnung einer neuen Halle auf weiteres Wachstum einstellt. Momentan – so bestätigen Marktforscher, Aussteller und Fachbesucher unisono – bricht sich in Frankreich gerade eine starke Biowelle Bahn.

Montpellier versteht sich als Biowein-Hauptstadt.

Auch die Biofach, die Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel, die im Februar gemeinsam mit der Vivaness (der Internationalen Fachmesse für Naturkosmetik) in Nürnberg stattfand, verzeichnete in diesem Jahr Bestmarken bei der Ausstellerzahl (3.792 Aussteller aus 110 Ländern, Vorjahr: 3.266 Aussteller) und der gebuchten Fläche (57.609 qm Nettofläche, ohne Sonderschauen). Einen Rückschritt gab es bei den Besucherzahlen: Über 47.000 Fachbesucher aus 136 Ländern (Vorjahr: 51.500 aus 144 Ländern) ließen sich 2020 in Nürnberg von Neuheiten, Trends und Innovationen aus aller Welt anlocken. In die Top 5 der Besucherländer haben es diesmal – neben Deutschland – Österreich, Italien, Frankreich und die Niederlande geschafft, wobei das Thema Coronavirus vermutlich einen ersten Einfluss auf den Besucherzuspruch gehabt haben dürfte. 

Allerdings findet nur eine kleine Anzahl an Ausstellern aus der Weinbranche auf dieser Riesenmesse interessierte Einkäufer. Viele Aussteller schauten zwar beim gelegentlichen „Freigang“ von den eigenen Standbetreuungspflichten bei den Weinkollegen vorbei und ließen die Verkostungstheken der Winzer belebt wirken. Aber lediglich beim Branchenprimus Peter Riegel Weinimport heißt es Jahr für Jahr, dass die Biofach für dessen Vertriebsleute die wichtigste Messe des Jahres sei, da die Kernkundschaft nach Nürnberg komme und bei entsprechend intensiver Messevorbereitung auch ihre Biowein-Lieferanten auf der To-do-Liste stehen habe. Stark nachgefragt waren in diesem Jahr laut Riegel auch Bio-Spirituosen.

Laut dem Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) boomte Bio 2019 in Deutschland  sowohl an der Ladenkasse als auch auf dem Acker. „2019 stellten täglich durchschnittlich fünf Bauern ihren Betrieb auf ökologische Landwirtschaft um. Insgesamt legte die Bio-Fläche in den letzten fünf Jahren um fast 50% zu. Jeder zehnte Hektar in Deutschland ist enkeltauglich“, sagte Peter Röhrig, Geschäftsführer des BÖLW zum Auftakt der Biofach. Über 107.000 ha Bio-Flächen kamen 2019 in Deutschland dazu. Mittlerweile wirtschaften 33.698 Betriebe (= 12,6% aller landwirtschaftlichen Betriebe) in Deutschland ökologisch. In Verbänden organisierte Bauern stellen nach BÖLW-Angaben fast zwei Drittel der gesamten deutschen Bio-Fläche. Der Verband begrüßte zudem, dass Julia Klöckner ihre Unterstützung zugesichert hat, das Ziel von 20% Öko-Flächen bis 2030 erreichen zu wollen.

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

Die für Landwirtschaft und Ernährung zuständige Bundesministerin hat dabei ein ernsthaftes Problem: Sie muss sich mit den Bauernverbänden auseinandersetzen, die mit medienwirksamen Demonstrationen und Treckerkorsos vehement gegen eine weitere Verschärfung des Düngerechts zu Felde ziehen, da sie aufgrund der neuen Düngeverodnung ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage gefährdet sehen. Die Diskussion kreist dabei hauptsächlich um Nitrate und Phosphate. Das meiste Nitrat im Grundwasser kommt eindeutig aus der Landwirtschaft. Das belegt zum Beispiel das Umweltbundesamt in seinem Forschungsprojekt „Reaktive Stickstoffflüsse in Deutschland 2010-2014“. Demnach stammen etwa 88% des Nitrats im Grundwasser von Landwirtschaftsflächen. Messstellen im Einzugsbereich von Ackerland haben bedeutend höhere Nitratkonzentrationen im Grundwasser als Messstellen, deren Einzugsgebiete vorwiegend durch Wälder geprägt sind. An Messstellen, in deren Einzugsgebiet Wald, Grünland oder Siedlungen dominieren, sind Messwertüberschreitungen eher selten. In Regionen, in denen vorwiegend Ackerflächen oder Sonderkulturen sind, wird der Schwellenwert laut Umweltbundesamt bei etwa einem Drittel der Messstellen überschritten. „Das Phosphat in unseren Flüssen stammt überwiegend aus kommunalen Kläranlagen“ argumentieren hingegen viele Kritiker der neuen Düngeverordnung. Das sollen umfangreiche, mehrjährige Messungen aus Hessen ergeben haben. Die Bauernverbände regen eine Überprüfung des Messtellen-Netzwerks und der Messmethodik an und pochen auf stärkere Einbeziehung ihrer Vertreter im Verfahren. In Rheinland-Pfalz, dem Bundesland mit der größten Bedeutung für den Weinbau in Deutschland, gelten 40% der Grundwasserkörper als nicht in Ordnung (nach den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie: „schlechter Zustand“). „Betrachtet man nur die Flächen mit den Kulturen Wein-, Obst- und Gemüseanbau, sind es sogar 95%“, konstatiert Oswald Walg vom DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück in einem Beitrag für „DAS DEUTSCHE WEINMAGAZIN“.

Die EU-Kommission argumentiert, dass andere Mitgliedstaaten (wie Dänemark oder die Niederlande) längst gehandelt hätten und die EU-Grenzwerte dort eingehalten werden, in Deutschland hingegen nicht. Dadurch haben deutsche Landwirte dieser Auffassung zufolge einen Wettbewerbsvorteil, den man nicht mehr länger tolerieren könne. Die EU-Kommission hat jetzt der Bundesregierung eine enge Frist gesetzt, um die noch bestehenden Defizite bei der Umsetzung der EU-Richtlinien zu beheben. Andernfalls ist Julia Klöckner politisch dafür verantwortlich, dass mehr als 800.000 Euro Strafzahlung (= Steuergelder) pro Tag an die EU zu überweisen sein werden.

Die Bio-Verbände haben sich bei den Bauern-Demonstrationen eher rargemacht. „Mit einer nachhaltigeren, umweltschonenderen Ausrichtung der Landwirtschaft gehen wir als Verband ja generell d’accord, unsere Winzer sehen in der konventionellen Landwirtschaft und den dort verfolgten viel zu hohen Erträgen keine nachhaltige Perspektive“, erklärt Ralph Dejas, Geschäftsführer von Ecovin. Der Verband sei 1985 ja explizit mit dem Ziel gegründet worden, mehr Biodiversität zu fördern und Chemie-Exzesse beim Weinbau zu verhindern.

Grüne Kreuze – wie hier zwischen Ingelheim und Wackernheim (Rheinhessen) – sollen auf die prekäre Lage der Landwirte aufmerksam machen.

Ein großer Teil der Rebanlagen in Rheinland-Pfalz (und auch im Rheingau) liegt in so genannten „roten Gebieten“ und damit in Zonen, in denen die Nitratwerte im oberflächennahen Grundwasser zu hoch sind. „Die Düngeverordnung wird in nächster Zeit den größten Einfluss auf die Arbeit der Winzer haben“, erklärt der größte Bioverband Bioland (Mainz). Die Ausbringung von Komposten werde aufgrund der zum Teil sehr hohen Phosphatwerte weiter erschwert. Die Qualität des Grünschnitts (der ebenfalls belastet ist) und die Menge der guten Komposte ist oft nicht ausreichend für die strenger gewordenen Grenzwerte der Düngeverordnung.

Dies hat auch Auswirkungen auf den Bioweinbau. „Die organische Düngung, zu welcher auch die Kompostausbringung gehört, ist Teil der ökologischen Bodenbewirtschaftung. Bei uns ist die Kompostausbringung auch wichtig für die Strukturverbesserung der Böden, den Humusaufbau und die Steigerung der Wasserhaltekapazität der Böden.“ Aufbau von Humus (ein wichtiger CO2– und Wasserspeicher) ist – mit der geplanten Düngemittelverordnung als verbindlichem Rahmen –  auch für Biowinzer ein schwierig zu erreichendes Ziel. Dabei gibt es nach den zwei heißen Sommern 2018 und 2019 wohl kaum noch einen Landwirt, der sich keine Gedanken über den Klimawandel und dessen konkrete Auswirkungen auf seinen Betrieb macht.

An der Ladenkasse notierten die vom Verband BÖLW beauftragten Marktforscher aktuell ein Plus von knapp 10%. Insgesamt 11,97 Mrd. Euro investierten die deutschen Verbraucher 2019 laut Einschätzung des Verbands in Bio-Lebensmittel und -Getränke. „Ob Naturkostfachhandel oder im Discounter, ob Vollsortimenter oder bei den Direktvermarktern: Bio punktete in allen Vertriebswegen“, kommentiert Peter Röhrig vom BÖLW die starke Nachfrage nach Bio-Produkten. „Immer mehr Menschen wollen unsere Bäuerinnen und Unternehmer stärken. Die Kunden und Kundinnen setzen sich mit dem Griff zu Bio für unser Klima, für Biene und Feldhase, die artgerechte Haltung von Kühen, Huhn und Co. und die Gesundheit ihrer Familien und der Umwelt ein.“

Der Naturkostfachhandel konnte seinen Umsatz auf insgesamt 3,18 Mrd. Euro (Trend: +8,4% gg. Vorjahr) ausbauen – inklusive Non-Food waren es sogar 3,76 Mrd. Euro Umsatz. Am gesamten Bio-Markt kam der Naturkostfachhandel damit auf einen Umsatzanteil von 26,6%. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) war noch dynamischer unterwegs. Dort kletterte der Umsatz mit Bioprodukten auf insgesamt 7,13 Mrd. Euro (+11,4%). Der Umsatzanteil des LEH am Biomarkt lag somit bei 59,6%. In den „sonstigen Geschäften“ (also Bäckereien, Metzgereien, Obst- Gemüse-Fachgeschäfte, Wochenmärkte, Abokisten, Versandhandel, Tankstellen) kauften die Kunden Bio-Produkte für 1,66 Mrd. Euro ein (+5%). Die höchsten Bio-Umsatzanteile erreichten übrigens Bio-Mehl mit 26% und Bio-Eier mit 23%. Für Wein lagen bei Redaktionsschluss keine aktuelleren Zahlen als die aus dem Jahr 2018 vor. Für 2018 gab der BÖLW den Umsatz der deutschen Bio-Winzer mit 205 Mio. Euro (bei Verkaufserlösen für Winzer insgesamt von 1,589 Mrd. Euro) an. Als Quelle dienten dem BÖLW Zahlen der Agrarmarkt Informations-GmbH und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Der Umsatzanteil der Biowinzer 2018 an den Gesamtumsätzen der deutschen Winzer betrug demnach 12,9%.

Auch die vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) veröffentlichten Zahlen des Naturkostgroßhandels weisen auf ein Wachstum (im hohen einstelligen Prozentbereich) hin. Das Geschäft startete 2019 für Bio-Fachhändler laut BNN  verhalten, entwickelte sich aber im Jahresverlauf (durch eine umsatzstärkere zweite Jahreshälfte) gut. Insgesamt legte der Umsatz im Naturkostgroßhandel von gut 1,78 Mrd. Euro auf rund 1,92 Mrd. Euro (+7,87%) zu. Die Geschäftsergebnisse der beiden großen Biohändler Dennree und Alnatura wiesen zuletzt ebenfalls kräftige Zuwächse auf. Die Dennree-Gruppe schloss das Geschäftsjahr 2019 mit einem konsolidierten Netto-Umsatz von 1,12 Mrd. Euro ab (+9,5% gg. Vorjahr). Insgesamt beliefert Dennree in Deutschland und Österreich über 1.400 Fachmärkte, darunter auch die 311 eigenen „denn’s“-Biomärkte. Bei Alnatura waren es zuletzt 135 eigene Alnatura Super Natur Märkte in 62 Städten, am Ende des Jahres 2020 sollen es nach bisheriger Planung 148 sein. Vertrieben werden Alnatura-Bioprodukte europaweit in rund 12.700 Filialen verschiedener Handelspartner. Im Geschäftsjahr 2018/2019 erwirtschaftete Alnatura einen Netto-Umsatz von 901 Mio. Euro (+9,5% gg. Vorjahr). Ende 2019 gab es in Deutschland nach Zählung des BNN exakt 2.270 Bio-Fachhandelsgeschäfte.

Die filialisierten Betriebe stellten dabei mit 426.000 qm rund zwei Drittel der Gesamtverkaufsfläche. 41 Bio-Geschäfte öffneten laut BNN ihre Türen im Jahr 2019. Andererseits schlossen 70 Händler ihre Läden. Die Strukturen im deutschen Bio-Fachhandel entwickelten sich demnach ähnlich wie in den Vorjahren. Als Faustregel gilt: Die Handelsfläche insgesamt wächst, weil die großen Biosupermärkte immer größere Läden eröffnen – die Individualisten schließen ihre kleineren Läden, die Gesamtzahl der Verkaufsstellen sinkt.

Die Marktzahlen, die das Marktforschungsunternehmen IWSR auf der Millésime Bio vorstellte, weisen auf neue Weichenstellungen im Bioweinbereich hin. Die drei großen europäischen Weinbauländer werden dieser Studie zufolge ihre Weinproduktion an die prognostizierte wachsende Nachfrage nach Bioweinen anpassen. 2018 produzierten die Italiener laut IWSR 708 Mio. Flaschen Biowein, die Spanier 341 Mio. Flaschen und die Franzosen 361 Mio. Flaschen. 2023 werden der Einschätzung von IWSR zufolge 924 Mio. Flaschen Biowein aus Italien kommen (Steigerung gegenüber 2018: +30%), 613 Mio. Flaschen aus Frankreich (+70%) sowie 599 Mio. Flaschen (+76%) aus Spanien. Die Produktion steige so kräftig, um den Anforderungen des globalen Marktes folgen zu können, heißt eine Kernaussage der „Etude Millésime Bio“. Spanien wird 2023 diesen Angaben zufolge dann 160.000 ha Weinberge (+78%) zertifiziert biologisch bewirtschaften, Frankreich 115.000 ha (+76%) und Italien 96.320 ha (+29%). In einem insgesamt etwa 165,8 Mrd. Euro großen Weltweinmarkt (2018) wurde seitens des IWSR eine Größenordnung von rund 3,3 Mrd. Euro für die Biowein-Nische ermittelt. Der Anteil am  Gesamtmarkt ist also noch überschaubar. Der Marktanteil von Biowein in den fünf wichtigsten Bioweinmärkten Deutschland, Frankreich, USA, Italien und Spanien wächst, während der konventionelle Weinmarkt in diesen Ländern tendenziell schrumpft. 2013 betrug der wertmäßige Marktanteil von Biowein in den Schlüsselländern rund 1,5%, also 441 Mio. Euro bei einer Marktgröße von 28,8 Mrd. Euro. Der Biowein-Marktanteil dürfte sich laut Millésime-Bio-Studie 2019 bereits auf 2,85% (=802 Mio. Euro) erhöht haben – bei 28,1 Mrd. Euro Marktgröße in den Schlüsselländern. Für das Jahr 2023 prognostiziert die Studie eine weitere Steigerung auf 976 Mio. Euro (= 3,5% Marktanteil).

Die Studie sagt zudem eine Wachablösung bei den größten Biowein-Konsummärkten voraus: Demnach wird Frankreich 2021 mit 19,1% des weltweiten Bioweinkonsums den bisherigen Primus Deutschland (18,3%) vom Thron stoßen. 2023 werden die Franzosen erfolgreich zum Überholen angesetzt haben und bereits 20,2% des weltweiten Bioweinkonsums verantworten, während die deutschen Verbraucher noch für 17,6% des weltweiten Bioweinkonsums sorgen.

Fachbesucher auf der Biofach 2020

Ein eher nüchternes Fazit haben Prof. Dr. Gergely Szolnoki und Katharina Hauck vom Institut für Wein- und Getränkewirtschaft der Hochschule Geisenheim auf der Biofach in Nürnberg gezogen. Verschiedene Teiluntersuchungen ihrer auf vier Jahre angelegten größeren Untersuchung des Bioweinsektors haben aufgezeigt, dass Verbraucher mit der Vielfalt der unterschiedlichen Bio-Siegel überfordert sind. Bei einer Befragung von 60 deutschen Biobetrieben aus dem Weinsektor (im Zeitraum Mai bis Juni 2019) wurden seitens der Produzenten vor allem der höhere Aufwand, die höheren Arbeitskosten und überbordende Bürokratie als Probleme bei der Umstellung auf Bio genannt. Viele waren skeptisch, ob sie den Mehraufwand durch höhere Preise wieder einspielen können. Probleme bei der Kommunikation zum Kunden gaben aber nur wenige Betriebe als vorrangige Problemstellung an. „Man bekommt nicht immer die Ergebnisse, die man gerne hätte“, kommentierte Katharina Hauck die vorläufigen Ergebnisse der Geisenheimer. Sie riet den Fachleuten im Publikum dazu, gelegentlich die „grüne Brille“ abzunehmen. Nur 10% der Teilnehmer gaben in der Geisenheimer Stichprobe an, regelmäßig Bioprodukte zu kaufen. Bio wurde dabei mit Assoziationen wie „das ist doch nur Geldmacherei“, „woher weiß ich denn, dass Bio drin ist, wenn Bio drauf steht?“ bedacht. Nur wenigen Verbrauchern sei (ungestützt befragt) klar, dass und wie streng Bio tatsächlich kontrolliert wird. Der überwiegende Teil der Verbraucher sei zudem nicht in der Lage gewesen, Qualitätsunterschiede etwa zwischen EU-Bio- und Bioland-Produkten einzuschätzen.

Das wichtigere Einkaufs-Argument war laut dieser Befragung übrigens eindeutig der „regionale Bezug“. Jüngere Verbraucher sind prinzipiell aufgeschlossener für Biowein als ältere, aber die stärksten Effekte lassen sich mit Informationen und emotionaler Ansprache bei der Gruppe der weiblichen Konsumenten im Alter von 41 bis 65 Jahren erzielen. Bei Männern aus dieser Altersklasse hingegen müsse sich jeder Produzent überlegen, ob es Sinn mache, überhaupt Ressourcen hineinzustecken. Diese Zielgruppe spreche auf Fakten am allerwenigsten an.

Die Hochschule Geisenheim hat bereits vier Mal Repräsentativuntersuchungen gestartet, die neue Befragung 2020 steht jetzt in den Startlöchern. Prof. Dr. Szolnoki verwies daher auf die Ergebnisse der 2018er Studie, bei der nur ganz wenige Menschen (nämlich 0,1%) angaben, mehr als einmal pro Woche Biowein einzukaufen. Selbst „monatliche Bioweineinkäufe“ würden statistisch betrachtet noch sehr selten getätigt. Die Gesamtmenge, die aus einer bewussten Entscheidung für Biowein entspringt, haben die Geisenheimer Marktforscher in den repräsentativen, auf Deutschland hochgerechneten Studien mit 0,47 Mio. hl beziffert. Aus der Marktbeobachtung sei bekannt, dass etwa 0,5 Mio. hl Biowein in Deutschland erzeugt werden, dazu kommen noch Importe von Biowein. Daraus resultiert eine Biowein-Gesamtmenge vonnetwa 0,9 bis 1 Mio. hl. „Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was wir wissenschaftlich erklären können, und was die Marktlage hergibt“, erläutert Szolnoki. Bioprodukte gelten normalerweise als gesünder als konventionell erzeugte Produkte – für Wein als alkoholisches Getränk gelte das Argument nicht. Der konventionelle Markt laufe noch so gut, so Szolnoki und Hauck, weil der Weinkunde dort noch naturnahe Produktion vermute und eben nicht genau wisse, was im Weinbau so alles praktiziert werde. In einer solchen Situation treffen hochmotivierte Biowinzer und engagierte Bioweinhändler dann eben auch auf Konsumenten, für die Bio kein wirkliches Kaufkriterium ist.